Süddeutsche Zeitung, 10.04.2007
Allein unter Männern
Comi-Autorinnen sind immer noch rar, aber ihre Zahl nimmt langsam, stetig zu

Der Befund ist, zumindest auf den ersten Blick, alles andere als aussichtsreich. Klickt man sich auf der Homepage von Carlsen, des größten deutschen Comic-Verlags, durch das umfangreiche Alphabet der Künstler, sind nicht mehr als zwei Zeichnerinnen aufzufinden: die Hamburgerin Isabel Kreitz, bekannt vor allem für ihre Adaptation von Uwe Timms „Die Erfindung der Currywurst„, und Wendy Pini, die mit ihrem Mann Richard seit mehreren Jahrzehnten an der Fantasy-Serie „Elfquest„ arbeitet. Etwas besser sieht es beim wesentlich kleineren Reprodukt Verlag aus, dessen Programm sich konsequent jenseits des Mainstream bewegt. Von 50 Zeichnern, die hier unter Vertrag stehen, sind immerhin knapp ein Sechstel weiblich, nämlich acht.
Eine von ihnen ist Line Hoven. Auf die Frage, warum es so viele Männer, aber so wenig Frauen gibt, die Comics machen, muß sie nicht lange nachdenken: „Die Leser sind ja auch vor allem Männer. Natürlich wünschen wir uns alle, daß das anders wäre. Aber wenn man in die Geschichte des Mediums blickt, ist doch offensichtlich, daß es sich früher vor allem an ein junges, männliches Publikum gerichtet hat. Was für eine Rolle haben denn zum Beispiel Daisy und Minnie im Disney-Kosmos? Sie sind nicht mehr als schmückendes Beiwerk.„ Daß attraktive role models den Wunsch, selbst kreativ tätig sein zu wollen, in der Tat entscheidend verstärken können, zeigt der Manga-Boom, der in kurzer Zeit einige sehr begabte deutsche Zeichnerinnen, die in diesem Bereich erfolgreich arbeiten, hervorgebracht hat. Im traditionellen Autoren-Comic sind Frauen dagegen immer noch rar – auch hier aber nimmt ihre Präsenz langsam, stetig zu.
„Liebe schaut weg„, das erste Album von Hoven, das in einigen Monaten erscheinen wird, erzählt die Geschichte ihrer deutsch-amerikanischen Familie zwischen den dreißiger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der eine Großvater, ein begeisterter Radiobastler, gerät während seiner HJ-Zeit in ein Konzert von Mendelssohn, das die BBC ausstrahlt; er erschrickt zutiefst. Die Großeltern in den USA lernen sich beim Schlittschuhlaufen kennen; der Vater versucht dem langweiligen Deutschland der Adenauer-Zeit zu entkommen, indem er unter der Bettdecke Science-fiction-Romane verschlingt. Unspektakuläre Szenen aus dem bürgerlichen Leben, die aber eine exemplarische Bedeutung gewinnen und immer wieder zu beschreiben versuchen, womit sich die Vorstellungen von Heimat und Identität verknüpfen.
Die Plastizität von Hovens Zeichnungen verdankt sich ihrem virtuosen Umgang mit dem Schabkarton. Von Comiczeichnern wird diese Technik nicht allzu oft verwendet; im deutschsprachigen Raum hat sich Thomas Ott mit ihr einen Namen als Meister des Makabren in der Tradition des legendären EC-Verlags gemacht. Das Arbeiten mit dem Schabkarton ist sehr zeitaufwendig. Da Fehler sich kaum korrigieren lassen, kommt es auf große Genauigkeit an; besonders wenn man, wie Line Hoven, gerne mit detaillierten Hintergründen arbeitet. Trotz dieser Zwänge will die Zeichnerin dem Verfahren auch in Zukunft treu bleiben. Sie hat zwar schon ein wenig mit Farbe experimentiert; mit dem Stilpluralismus, den manche ihrer jungen deutschen Kollegen kultivieren, kann sie sich aber nicht anfreunden.
Ganz anders Ulli Lust: Sie bekennt sich auf ihrer Homepage programmatisch zu einer heterogenen „Zeichensprache„, die „gemäß dem Klang, nach dem eine Geschichte verlangt„, variiert. Lust schätzt einerseits das leichte Tupfen mit Tusche und Pinsel, andererseits den festen Strich, den der Bleistift zu ziehen vermag. Die gebürtige Wienerin, die an der Kunsthochschule in Berlin studiert hat, interessiert sich sehr für das Genre der Comic-Reportage, als dessen wichtigster Vertreter der amerikanische Zeichner Joe Sacco gilt. Im Auftrag des Bauhauses Dessau hat sie die „Neustadt„ von Halle erkundet, eines der städtebaulichen Prestigeobjekte der DDR, das seit der Wende unter drastischer Abwanderung leidet. Vor allem aber beschäftigt Lust sich gerne mit Gegenwart und Vergangenheit der Hauptstadt. In „Mini-Reportagen„, für die vier oder fünf Panels genügen, porträtiert sie pointiert die spezielle Berliner Fauna von Szene-Typen, Rentnern und Hartz IV-Empfängern; noch in den Anfängen steht eine große Reportage über die Geschichte des Friedrichstadt-Palastes, die schließlich rund 300 Seiten umfassen soll.
Daß eine Zeichnerin dieses Ranges sich schwer tut, einen Verlag zu finden, sagt viel über die marginale Bedeutung, die der Comic in der deutschen Kulturszene immer noch besitzt. Aus der Not hat Lust inzwischen allerdings eine Tugend gemacht. Unter electrocomics.com bietet sie seit anderthalb Jahren die Möglichkeit an, gegen ein freiwilliges Entgelt nicht nur ihre eigenen Arbeiten, sondern auch die anderer junger Zeichner aus mehreren europäischen Ländern herunter zu laden: „Ich mache gerne Bücher, und ich rede gerne über Comics. Das Netz kann die Bücher nicht ersetzen, aber der Bildschirm ist eine neue, interessante Publikationsfläche, die auch ihre Vorteile hat. Wenn ich sehr lange mit der vagen Aussicht arbeite, bei einem kleinen Verlag unterzukommen, dann ist das nicht sehr motivierend. Dank dem Netz ist es möglich, sich schnell, kostengünstig und international eine Öffentlichkeit zu verschaffen.„
Keine Schwierigkeiten mit der Publikation ihrer beiden ersten Alben hatte Barbara Yelin. Der Aufmerksamkeit der meisten hiesigen Leser dürften sie dennoch entgehen, da sie nicht auf deutsch vorliegen, sondern bei einem exklusiven französischen Verlag, den der Comic-Theoretiker Thierry Groensteen leitet, erschienen sind. „Le visiteur„ („Der Besucher„) erzählt in Bildern, die auf Worte verzichten, von einem kleinen Mädchen, das in einem großen Haus lebt und dort plötzlich von einem riesigen, rabenartigen Vogel heimgesucht wird. In „Le retard„ („Die Verspätung„) treffen sich drei Männer und zwei Frauen nach 15jähriger Pause wieder und ziehen, während sie sehr viel Rotwein trinken und vergeblich auf die Ankunft eines weiteren Schulfreundes warten, die Bilanz ihrer enttäuschten Hoffnungen.
Für beide Alben hat Yelin einen weichen Bleistift verwendet. Wichtig war auch der Radiergummi: „Mit dem wische ich gerne leicht über die Zeichnungen. Ich will nicht, daß das, was ich mache, allzu sauber wirkt. Der Prozeß des Zeichnens soll noch zu ahnen sein. Und so entsteht, wie ich meine, auch eine gewisse Dynamik.„ Obwohl Yelin in „Le visiteur„ und „Le retard„ auf dieselbe Technik zurückgreift, sind deutliche Unterschiede auszumachen. Im ersten Album findet sich auf jeder Seite nicht mehr als ein großformatiges Bild. Das zweite Album arbeitet dagegen mit unterschiedlich großen Panels. Die Zeichnungen sind, auch durch den wohl dosierten Einsatz von Farbe, lockerer und luftiger geworden; dazu paßt, daß es nun weniger um die Evokation einer traumhaft-phantastischen Atmosphäre als um das Erzählen einer Geschichte geht. Geblieben ist jedoch die Faszination an leeren, unterschwellig bedrohlichen Räumen und an leicht surrealen Naturbildern, die Bäume riesigen Farnen oder exotischen Blumen anverwandeln.
So unterschiedlich die künstlerischen Temperamente dieser Zeichnerinnen sind, gemein ist ihnen, daß sie sich in der männlich dominierten Szene keineswegs als Exoten fühlen. „Das ist ein völlig gleichberechtigtes Miteinander„, betont Barbara Yelin. Auffällig ist auch, daß keine der drei ein besonderes Interesse an Stoffen erkennen läßt, die sich, gerade aus (post)feministischer Perspektive, als spezifisch weiblich apostrophieren lassen. Allenfalls Ulli Lusts „Spring Ritual„-Serie, eine Hommage an prähistorische Fruchtbarkeitskulte, und ihr autobiographischer Comic-Roman „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens„ weisen ein wenig in diese Richtung. „Wenn mir jemand sagt, daß sich nicht erkennen läßt, ob die Sachen, die ich mache, von einem Mann oder einer Frau stammen,„ erklärt Line Hoven, „dann ist das für mich das größte künstlerische Kompliment.„ Ein modisches Bekenntnis zum gender mainstreaming? Sicherlich nicht. Vielmehr zeigt sich hier ein Umgang mit dem Medium Comic, der in seiner gelassenen Selbstverständlichkeit für die Zukunft einiges erhoffen läßt.

Christoph Haas